Reformation - Mund halten, oder doch protestantisch sein?

Wie die meisten von euch wohl wissen, bin ich evangelisch. Evangelisch bis über die Ohren, und noch dazu lutherisch. Von ganzem Herzen und doch mit einem offenen Blick über die Grenzen der eigenen Konfession hinaus.

 

Heute ist Reformationstag - ein wichtiger Feiertag, aber nicht das Zentrum des Kirchenjahres. Das ist etwas ganz anderes, aber dennoch bewegt mich dieser Tag zum Innehalten und Nachdenken.Und da kommt doch einiges in mir hoch.

 

In den letzten Jahren, ja eigentlich im letzten Jahrzehnt, entwickelte sich so eine leichte bis mittlere Mühe - um es dezent auszudrücken - mit meiner lieben evangelischen Amtskirche. Ja, nicht nur Katholiken haben ihre Amtskirche, sondern auch die Evangelischen, und das sogar ganz ordentlich.

 

Ich durfte in vielem lernen und vor allem in Sitzungen feststellen: Es geht immer wieder um das Gleiche. Um das liebe Geld, um Haushaltsvoranschläge, Kirchenbeitragseintreibung, Verwaltungskram, um Beschlüsse, ob ein Folder in gelb oder rot gedruckt wird, um Wahlen von Amtsträgern, und seit vielen Jahren schon um das Thema Gender Mainstreaming. Ich durfte in verschiedenen Gremien - von der Jugend- bis in die Gemeindevertretung und auch im Presbyterium sitzen. "Dienen", wie man es so fromm auch sagen mag.

 

Schon vor einigen Jahren fing ich an, in meiner Kirche immer mehr zu vermissen, was mir am Herzen lag und noch immer liegt: Nicht die Frage, wie man durch Events mehr Geld für die Kirche lukriert und Menschen für ein Programm begeistert, sei es dies oder jenes,  sondern die Frage, wie man Menschen das Evangelium nahe bringt und die Botschaft Jesu in der Welt verbreitet. Denn Christen sagen ja von Christus, nein Christus sebst sagt es: dass Er der Weg, die Wahrheit und das Leben ist und niemand zum Vater kommt als durch ihn. (das steht in der Bibel .... wer will, kann es auch nachlesen)

 

Na gut ... dann auf, es ruft die Berufung, diese wunderbare Botschaft der Welt weiterzugeben. Oder? Ist es peinlich? Man redet vielerorts von Schöpfungs-Verantwortung, beschäftigt sich mit Randthemen, die wohl auch wichtig sind, aber vorbeigehen am Kern der Sache. Es scheint so als würde man die Selbstaufgabe im Kern der Sache bevorzugen, und Profil dort zeigen, wo es der Einheit unter Christen schadet.

 

Dann durfte ich merken: Solange ich als Mitarbeiter schön meinen Mund halte, brav meine mir anvertrauten Aufgaben verrichte und anderen das Leben somit ein Stück weit erleichtere (weil ich ihnen Arbeit abnehme) bin ich gerne gesehen, ein richtig angenehmer Zeitgenosse. Aber nur solange ich das eben tue, und mich in der Predigt nicht zu weit hinauslehne, sondern als einfacher Mitarbeiter funktioniere. Aber wenn man mal was sagt ... oh ... da brennt gleich der Hut ... oder der Talar.

 

Versicherungsvertreter verkaufen Lebensversicherungen. Was bietet der Glaube und damit eine authenische Kirche an? Religiöse Lebensversicherung so unter dem Motto: Wenn du brav den Kirchenbeitrag zahlst und vielleicht sogar ein bisschen da und dort mithilfst, bekommst du ein schönes Begräbnis. Ist doch schön! Aber was ist mit dem offenbarten Heil in Jesus Christus?

 

Für mich stellt sich die Frage: Sind Pfarrer Kultusdiener einer Religion, oder Hirten und Gesandte, Berufene und Bevollmächtigte? Sind sie einfache Angestellte, die an einer Uni studiert haben, um dann einen "schlecht bezahlten Job" auszuüben, irgendwann resignieren und sich den wohlverdienten Ruhestand herbeisehen? Zurück zur Frage: Bin ich selbst Soldat oder Söldner?

 

Früher verwendete man den Begriff "Mission", um die Tätigkeit zu beschreiben, das Evangelium unerreichten Menschen zu verkünden. Heute entscheiden manche Gremien oder Amtsträger: Mission wollen wir nicht, jeder soll nach seiner Facon selig werden.

 

Gut, ich hab's gehört, aber ich halte mich nicht an diese durch ein Gremium beschlossene Entscheidung. Ich bin und bleibe missionarisch. Wenn Mehrheiten entscheiden ... entscheiden Mehrheiten immer richtig?

 

Sodann, ich schaue gesamtkirchlich (wohlgemerkt eigentlich nur europäisch) auf meine familiäre Situation: ich bin verheiratet und wir sind erst nach der Eheschließung zusammengezogen (damals einem evangelischen Pfarrhaus) bzw. meine Frau ist zu mir gezogen; beide hatten wir keine vorehelichen Beziehungen, ich habe meine drei Kinder in der Ehe gezeugt, sie wurden innerehelich geboren und bin noch immer verheiratet mit derselben Frau und habe noch immer keine außerehelichen Kinder oder sexuelle Neigungen, die abseits meines Weltbildes zur Geltung kommen würden.

 

Ja, dann wird's so richtig altmodisch, wenn ich meine, das wäre doch ganz normal. Werden Reihenfolge und Lebensweise, wie wir sie einhalten und leben noch gefördert, oder gar gewünscht? Ich sage ja, ganz klar!

 

Doch wie schaut's in unserem Umfeld aus? Dort lebt man so, da lebt man vielleicht andersrum, und dort kann es schon mal sein, dass es vielleicht ganz anders ist. Aber, wir sind ja offen - offen evangelisch und das am besten im Pfarrhaus. Egal wie, Segen komm her ...

 

Sicherlich scheitern Menschen in Beziehungen, und die Frage wie man damit umgeht, ist enorm wichtig, doch was tut man dafür, um es erst nicht so weit kommen zu lassen? Wo sind passende Fundamente, wenn nicht dort, wo Jesus hineinstrahlt und einen Nährboden schafft für eine Zukunft?

 

Aber leise Zwischenfrage: Wenn man für alles offen ist, ist man noch ganz dicht?

 

Nein, wir müssen doch mit dem Geist der Zeit gehen, den Puls des Lebens fühlen und das allgemeine Niveau dort hin bringen, ja wohin eigentlich? Wo ist das Ziel?

 

Die klaren Werte der Heiligen Schrift werden ins Museum gestellt. Historisch und kritisch. Poltisch korrekt in einer guten "gerechten" Sprache.

 

Und doch fühlen die Menschen Sehnsucht nach dem Heil und nach Wahrheit. Die Wahrheit lässt sich nicht verbergen, sie macht frei. Gestern, heute und morgen.

 

Viele verurteilen die katholische Kirche mit ihrem Papsttum. Viele schimpfen über Limburg, die Moralvorstellungen und vieles andere.

 

Ich durfte feststellen: in meiner Kirche ist es nicht besser. Wir haben nicht einen Papst. Wir haben millionen Päpste. Jeder hat so seine Privatlehre unter dem Motto: Alles ist möglich, nix ist fix. Die Frage nach Grundsätzen der Reformation wird mal durch die Mehrheitsentscheidung der demokratisch gewählten Synode ergänzt, und jene, die anderer Meinung sind, und diese auch kundtun, werden ganz schnell in ein Eck gestellt, das wir - wären wir katholisch -  als "vorkonziliar" bezeichnen würden. Nebenbei sind viele schon müde geworden, zu kämpfen, wenn sie ständig den "Lohnzettel auf den Tisch geworfen bekommen" haben mit dem nicht ausgesprochenen Satz: Wer zahlt, schafft an!

 

Alles darfst du sein in der Kirche, aber bist du bekenntnis- und bibelorientiert, wird die Luft schon sehr dünn.

 

Nahezu wöchentlich begegnen mir Menschen mit den Worten: "Ich glaub, ich trete bald aus, ich halte das nicht mehr aus, was ist los mit dieser Kirche? Ich möchte Gemeinschaft und Gottes Wort!" Es hat den Schein, als würde man kirchlicherseits lieber nach schönen, verbindenden Worten suchen, nicht anecken bei der großen Masse, den Zeitgeist einfangen und unter das Dach der Kirche bringen und sich freuen, eine so offene Kirche zu sein.

 

Meine Meinung: Das Ganze ist sehr traurig.

 

Aber, wie auch immer: Gott ruft immer Menschen dort und da heraus, es gibt blühende Oase, statt Wüste, es gibt Hoffnung, statt Leere und es gibt eine Zukunft der Kirche Jesu Christi, weil Sein Geist weht, wo er will und Menschen in die Freiheit der Kinder Gottes führt.

 

Zum Schluss: Darf ich das überhaupt sagen, schickt sich das für einen Kirchenbeitragszahler und nochdazu Amtsträger?

 

Ja, denn erst vor kurzem kam mir ein Zitat zu Gehör, welches in einer Kirche bei einer Amtseinführung durch eine Oberkirchenrätin gesagt wurde. Es stammt (ich glaube) von einem Journalisten, der seinem Kind sagte:

 

Bleib protestantisch. Und das nehme ich mir zu Herzen. Ich bleibe im Herzen protetantisch - denn ich bin für etwas, für jemanden und ich stehe hier. Lange habe ich mich zurückgehalten, jetzt ist die Zeit reif, etwas zu sagen.

 

Und vor allem: es ist gut, immer wieder Reformation im eigenen Leben zu haben, Zeichen zu setzen und eine Stimme zu erheben.

 

Die Worte von Ingeborg Bachmann: "Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar" lässt mich besonders am Reformationstag das niederschreiben, was ich denke und sagen möchte.